Premierenbericht

Verdis 'Ernani' an der Wiener Staatsoper, Premiere 14. Dezember 1998

Mit langanhaltendem Applaus endete die Premiere von Verdis 'Ernani' an der Wiener Staatsoper. In der Inszenierung von Graham Vick in Zusammenarbeit mit dem Bühnen- und Kostümbildner Richard Hudson unter der musikalischen Leitung von Seiji Ozawa war dies die erste Ernani-Aufführung im Haus am Ring seit 1925. 73 Jahre lang schlummerte der spanische Edelmann im Banditen-Gewand, bevor er mit herausragender Besetzung  - Neil Shicoff (Ernani), Carlos Alvarez (Don Carlos), Roberto Scandiuzzi (Silva), Michèle Crider (Elvira) - wiedererweckt wurde.

Carlos Alvarez
Carlos Alvarez als Don Carlo
Verdis sechste, 1844 in Venedig am Teatro La Fenice uraufgeführte Oper - die erste seiner Opern nach einem Drama von Victor Hugo - war ein Meilenstein im Schaffen des Komponisten und in der Operngeschichte. Das Libretto von Francesco Maria Piave, das auf Hugos Skandaldrama 'Hernani' (1830) basiert und bei Hugo den Untertitel 'l'honneur castillan' (Die kastilische Ehre) trägt, ist zwar in seinem Inhalt um Ehre und Rache in mancherlei Hinsicht heute nur noch schwer nachvollziehbar, seine Musik ist jedoch ein früher Geniestreich des Komponisten und bietet die Ansätze zum Personen-Drama, die Verdi in seinen späteren Werken noch verfeinert hat. Zwar ist in 'Ernani' noch weitgehend die alte Struktur von Rezitativ-Arie-Cabaletta erhalten geblieben, doch Verdi bewegt sich deutlich weg von der chorgeprägten Historienoper und dem reinen Belcanto hin zu einer Dramatisierung und Psychologisierung der Personen durch die Musik. Aber auch inhaltlich entfernt sich 'Ernani' von den bis dato gültigen Opernschemata. Das Wort, die Gnade und Güte des Kaisers, des höchsten Herrschers, und das von ihm verkündete Happy-End werden durch die Rache eines ihm untertanen Herzogs und durch den kastilischen Ehrbegriff zunichte gemacht.

Die Handlung ist verworren und doch einfach zugleich. Drei Männer wollen eine Frau, die allerdings nur einen dieser dreien - nämlich Ernani - will, obwohl unter den drei Rivalen rechtlich und finanziell am schlechtesten gestellt. Als sie ihn nun endlich bekommen hat, scheidet er um seine Ehre zu retten, freiwillig aus dem Leben. Auf dem Weg dorthin gibt es die unterschiedlichsten Koalitionen im Bestreben, die Gunst dieser spanischen Edeldame Elvira zu gewinnen und sich an dem anderen zu rächen. Zu den drei männlichen Protagonisten zählt der Titelheld Ernani (Tenor), dessen Vater vom Vater des Königs Don Carlos ermordet und seiner Titel und Güter beraubt wurde. So ist aus dem Edelmann ein Bandit und Rebell gegen den spanischen König geworden. Sein einziges Streben ist es, mit Elvira glücklich zu werden und seinen Vater zu rächen. Allerdings, viel Gelegenheit zum Held sein besitzt er nicht. Meistens bietet Ernani an, sich aus Verzweiflung über seine Lage töten zu lassen oder sich selbst zu töten, was er am Ende auch macht, ausgerechnet dann, als sich die Geschichte für ihn eigentlich zum Positiven gewendet hat. Don Carlos (Bariton), der im Verlauf der Oper in Aachen zum Kaiser Karl V. gekrönt wird, begehrt Elvira, die aber all seine Schätze und Versprechungen zurückweist, weil sie Ernani liebt. Als er zum Kaiser gekrönt wird, siegt jedoch Gnade und Tugend in seiner Seele und er schenkt Ernani sein Leben, seine Titel und Güter als auch die Hand Elviras. Diesen noblen Glauben an das Gute im Herrscher soll Hugo von seiner Mutter, einer Monarchistin erhalten haben, während Hugos Vater, ein Republikaner, ihm die rebellischen Gedanken eingeflößt haben soll. Nun, als ob nicht schon zwei Rivalen genug für ein Opernplot wären, kommt noch ein dritter hinzu: Silva (Baß), in Ehren ergrauter, kastilischer Herzog und Vormund Elviras, der sie liebt und sie auch gegen ihren Willen zur Ehefrau nehmen will. Unter einem etwas seltsam anmutenden Begriff von Gastfreundschaft - immerhin hat sie sich Ernani im Mönchsgewand erschlichen - rettet Silva Ernani vor der Rache des Königs, um dann, als das Happy-End schon perfekt erscheint, sein Leben zu fordern.

Neil Shicoff als Ernani (links) mit
Michèle Crider als Elvira (rechts)
Shicoff und Crider
Die Handlung spielt an vier Orten, in den Bergen Aragons, in der Burg Silvas, in der Aachener Grabkammer von Karl dem Großen und auf dem Schloß Ernanis. Meistens zu Nachtzeit oder im finsteren Grabverlies. Entsprechend dunkel gehalten ist auch Richard Hudsons Bühnenbild, dessen Hauptbestandteil graumarmorierte, kahle Wände sind, die gelegentlich mit roten Stricken kontrastiert werden. Auch die Kostüme sind in Grauschwarz- und Rottönen gehalten. Im dritten Teil bei der Krönungsszene entfalten sie sich zur großer Pracht und Augenweide. Das Bühnenbild ist schlicht und läßt die Konzentration auf Personen und Gesang zu. Trotz seiner Schlichtheit besitzt es eine gewisse Raffinesse, so im dritten Teil als ein überdimensionales, schräg aufgehängtes Kreuz das Grabmal Karl des Großen symbolisiert und später - heruntergelassen und auf dem Boden liegend - das Podest für die Kaiserkrönung bildet. Eine weitere eindrucksvolle Szene im ausgeklügelten Verhältnis von Schwarz-Grau-Rot ist die Erscheinung des Tod bringenden Silvas in vierten Teil. Im oberen Bereich der Bühne öffnet sich seitlich, oberhalb einer Treppe eine Türe. Der rote Schein der aus ihr fällt, erweckt den Eindruck, als würde Silva gerade aus der Hölle treten. Insgesamt wurde sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit auf die feinabgestimmten Beleuchtungseffekte gelegt. Ebenso viel Gewichtung gab Regisseur Graham Vick bei seinem Wiener Staatsoper-Debüt der Personenführung. Von Vick sagt Neil Shicoff, der 1998 bereits in Zürich in einer Ernani-Neuinszenierung auf der Bühne stand und der vor gut zwanzig Jahren mit Ernani, damals noch als Einspringer, seinen internationalen Durchbruch feierte, er habe ihm erst die Rolle des Ernanis eröffnet.

Das Berauschenste an Ernani ist jedoch die Musik, vor allem dann, wenn sie von einer so glänzenden Besetzung dargeboten wird und mit solch präzise abgestimmtem, den Melodienreichtum auslotendem Orchesterspiel. Die musikalische Leitung unterlag Seiji Ozawa, einem Perfektionisten am Pult im positiven Sinne, der größte Sorgfalt auf die exakte Einstudierung gelegt hat, vor allem auch der Chorszenen. Und, einer der eher selteneren Dirigenten, bei denen das Orchester keine übergewichtige Eigendynamik entwickelt, sondern für das Ganze und für die Sänger spielt. Obwohl seit einigen Wochen bereits an einem Luftröhren-Katarrh leitend hatte es sich Neil Shicoff nicht nehmen lassen, die Premiere zu singen. Als indisponiert angesagt, verbreitete der amerikanische Tenor, der einer der größten Wiener Publikumslieblinge ist, dennoch musikalischen Hochgenuß und verstand mit seiner eindringlichen Darstellungskunst dem über sein Schicksal verzweifelten Ernani eine besondere Note zu geben. An Shicoffs Seite sangen zwei aufstrebende Stars der jungen Generation. Besonders gut hatte es Verdi - wie später auch u.a. in seinem 'Don Carlos' mit der Rolle des Marquis de Posa - mit dem Bariton gemeint. Carlos Alvarez konnte mit großem Stimmvolumen , feiner Stimmkultur und herrlichem Legato glänzen. Einer der Höhepunkte ist seine elegische Arie am Grab Karl des Großen begleitet vom seufzenden Violoncello und den in Achtelnoten den Rhythmus liefernden Violoncello und Contrabaß, die am Ende in die Siegesgewißheit für die Kaiserwahl umschlägt musikalisch vertont mit dem einsetzenden Orchester.

Scandiuzzi und Shicoff
Roberto Scandiuzzi als Silva (links) und
Neil Shicoff als Ernani (rechts)
Vom Komponisten weniger großzügig bedacht - Verdi komponierte die Arie des Silvas noch nachträglich hinzu, um der Gewichtung der Rolle für das Drama auch gesanglich Adäquates zu bieten -, war Roberto Scandiuzzis eindringlicher, kraftvoller Bass jedoch ebenso prägnant. Scandiuzzi gab der Gestalt des Silvas die nötige Würde und Grandezza. Etwas weniger einhellige Begeisterung fand Michèle Crider in der Rolle der Elvira. Ihr Sopran ist eine Frage des Geschmacks. Flexibel und sicher in der Intonation klingt er am wärmsten und ausdrucksvollsten in den mittleren Lagen und in den Piani, während er bei den Höhen oft etwas forciert und sehr durchdringend wirkt.

Alles in allem ein Abend auf höchstem musikalischen Niveau und eine gelungene Entscheidung der Leitung des Hauses am Ring diese selten gespielte Verdi-Oper im Vorgriff auf das Verdi-Jahr 2001 wieder ins Programm aufzunehmen. Daß alle weiteren Vorstellungen für den Dezember und Januar bereits ausverkauft sind, verwundert nicht, aber es lohnt sich für einen Stehplatz anzustehen.

Birgit Popp

 

Weitere Vorstellungen dieser Serie sind am 18., 22., 26., 30. Dezember 1998 und am 3. Januar 1999, außerdem am 5., 9,. 13., 17. Juni 1999, dann mit Maria Guleghina als Elvira.

CD-Tip: Ernani, RCA/BMG-Ariiola, 1968, Carlo Bergonzi, Mario Sereni, Ezio Flagello, Leontyne Price, D.: Thomas Schippers

 

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