Bericht

Operalia 98

Wer am Pfingstmontag nicht den Weg in die Hamburger Musikhalle gescheut hatte, konnte ein Gesangsereignis der besonderen Art erleben: 15 Künstlerinnen und Künstler, die ohne Zweifel die Stars von morgen auf den großen Opernbühnen der Welt sein werden. Die Qualität der Finalisten von Plácido Domingos Opern-Gesangswettbewerb Operalia, der vom 25. Mai bis 1. Juni 1998 in der Hamburger Musikhalle ausgetragen wurde, war überwältigend. Fazit: Zumindest international gesehen, braucht es einem um den Opernnachwuchs nicht bange zu sein. Am Ende waren sich die Jury und das Publikum beim Finale über den Sieger einig, beide kürten den Uruguayer Bassisten Erwin Schrott zum Sieger.

Bis sieben der 15 Finalisten ihren Preis bei der sechsten Operalia entgegennehmen durften, hatten sie einen harten Auswahlweg hinter sich gebracht. 900 Sängerinnen (bis 28 Jahre) und Sänger (bis 30 Jahre) hatten ihre Kassetten mit zwei Arien in Orginalsprache an das Operalia-Büro in Paris aus aller Welt bis Ende März eingesandt. Drei von Plácido Domingo ausgewählte Experten aus den USA, Frankreich und Norwegen rangierten die Bewerber nach einem Punktsystem, wie es auch für das Vorsingen bei der Endausscheidung in Hamburg galt. Trotz seines angespannten Terminplanes ist der Initiator des Wettbewerbs bereits zu diesem frühen Zeitpunkt ständig involviert. Plácido Domingo hört sich die ausgewählten Sänger und Sängerinnen an, vergleicht mit den niedriger rangierten.  Ist erst einmal eine endgültige Auswahl getroffen, dann gilt es für die Büromitglieder mit Loris Dittaro an der Spitze schnell zu handeln. Die in diesem Jahr von der Deutschen Lufthansa gesponsorten Flugtickets für die 40 nach Hamburg eingeladenen Teilnehmer des Viertelfinales müssen arrangiert werden. Sagen ausgewählte Bewerber ab, so rücken die nächsten auf der Liste nach. In diesem Jahr reisten die 40 Teilnehmer der Endausscheidung aus zwanzig Ländern an: Argentinien, Aserbaidjan, Bulgarien, China, Deutschland, Frankreich, Israel, Italien, Japan, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, Spanien, Südkorea, Ukraine, Ungarn, Uruguay und USA.

Generalprobe
Generalprobe, Abschlußchor
Dirigent: Karl Sollak
Ein immenser Aufwand ist in kürzester Zeit zu bewältigen. Am 25. und 26. Mai stand das Viertelfinale bereits auf dem Programm. Bei den ersten beiden Operalias gab es noch weltweite Live-Auditions, bei denen die Finalisten ausgewählt wurden. Doch man mußte erkennen, daß trotz des großen Aufwandes nur ein Teil der potentiellen Kandidaten erfaßt werden konnte. Für viele war der finanzielle Aufwand zu groß gewesen, zu den Vorentscheidungen anzureisen. Kassetten können auch von den entlegensten Teilen der Welt eingesandt werden. Die Vielzahl der Nationalitäten zeigt, daß dies auch getan wird. Eine Anmeldegebühr gibt es nicht und mit einer Gesamtdotierung von 175.000 US$, die während des Finales noch einmal spontan um weitere 25.000 US$ erhöht wurde, übt Operalia auch finanziell einen erheblichen Anziehung aus. Die hohen Geldpreise ermöglichen den Preisträgern, neben ihrer beruflichen Tätigkeit, ihre Stimme auch weiterhin professionell ausbilden zu lassen. Doch abgesehen von der finanziellen Förderung besitzen die Finalisten die Gewißheit, daß ihnen Aufmerksamkeit seitens der Opernwelt geschenkt wird. Plácido Domingo möchte mit seiner Initiative den Operntalenten helfen, den Weg an die internationale Spitze zu ebnen, "Ich habe es mir zum Ziel gesetzt, diese hochbegabten Sängerinnen und Sänger zu entdecken und Persönlichkeiten vorzustellen, die auf Grund ihres Charakters und ihres Darstellungsvermögens eine große Karriere vor sich haben. Sie werden die Opernstars von morgen sein. Mir ist es eine große Freude und ein besonderes Anliegen, der Opernwelt und dem Publikum die größten Talente der kommenden Generation zu präsentieren." So hat Operalia in den vergangenen sechs Jahren bereits Künstlern und Künstlerinnen als Sprungbrett gedient, die heute zu den besten der Welt zählen, so z.B. dem argentinischen Tenor José Cura (Gewinner 1994) und der spanischen Sopranistin Ainhoa Arteta (Gewinnerin 1993).

Wer nach Hamburg eingeladen wurde, der bekam Flug, Hotelzimmer (bis zu seinem Ausscheiden), Verpflegung und 1000 US$ gezahlt und sammelte eine beträchtliche Menge an neuen Erfahrungen und Eindrücken. Plácido Domingo und seine Ehefrau Marta, die auch selbst einer der Sponsoren sind, hängen mit ganzem Herzen an Operalia. Obwohl Plácido Domingo am 24., 28. und 31. Mai an der Wiener Staatsoper als Prophet auf der Bühne stand, war er bei allen wichtigen Abschnitten beginnend mit dem Viertelfinale in Hamburg persönlich anwesend. Er führte nicht nur den Vorsitz in der Jury, die sich aus dem spanischen Intendanten des Madrider Teatro Real Juan Cambreleng Roca, dem italienischen Opernsänger Carlo Cossutta, dem deutschen Intendanten des Münchner Prinzregenten Theaters Prof. August Everding,  dem französischen Generaldirektor des Grand Théâtre in Bordeaux, Thiery Fouquet, dem deutschen Intendanten der Hamburgischen Staatsoper Dr. Albin Hänseroth, dem kanadischen Publizisten und ehemaligen Dirigenten Harvey Sachs, der österreichischen, künstlerischen Beraterin Helga Schmidt und dem britischen, ehemaligen Generaldirektor des Royal Opera Houses Covent Garden Sir John Tooley zusammensetzte, sondern stand allen Künstlern mit seinem Rat zur Seite. So besprach der spanische Tenor, der nicht nur als Sänger sondern ebenso als künstlerischer Direktor und Berater und als Dirigent über umfassende Berufserfahrung verfügt, mit allen 21 Sängern, die sich für das Halbfinale qualifiziert hatten, persönlich darüber, welche der vier Arien, die sie für Hamburg einstudiert hatten, sie präsentieren sollten.

Plácido Domingo steht den Künstlern mit gutem Rat zur Seite. Hier mit Stephanie Nowacek.
Domingo gibt Rat
Am 29. Mai, dem Tag des Halbfinales, standen dann sogar 22 Sänger und Sängerinnen auf der Bühne der Hamburger Musikhalle. Zwei der Sänger, die erkrankt in Hamburg angekommen waren, hatten in einem internen Vorsingen vor dem Halbfinale noch einmal die Chance bekommen, sich dafür zu qualifizieren, und hatten sie genutzt, während einer der Halbfinalisten wegen Erkrankung ausfiel. Die Qualität der Halbfinalteilnehmer war so hoch und sieben von ihnen lagen so dicht beieinander, daß sich die Jury entschloß, die Anzahl der Finalisten für das am Pfingstmontag vor Publikum stattfindende Finalkonzert auf 15 zu erhöhen. Und dabei hätte man es auch einigen der ausgeschiedenen Sieben noch gewünscht, daß auch sie weitergekommen wären, so z.B. dem südkoreanischen Baß Jun Young Choi.

Viel Zeit, sich Hamburg anzusehen, blieb den Finalisten nicht. Vor allem den Damen - sie hatten am Pfingstsamstag Kleideranprobe bei Chanel, welches die Damen-Gaderobe für das Finalkonzert zur Verfügung stellte. Am Pfingstsonntag stand noch einmal eine Klavierprobe auf dem Zeitplan, bevor es am Pfingstmontag am frühen Nachmittag die Generalprobe für das abendliche Finale gab - zum ersten Mal nun mit der Philharmonie der Nationen, einem von Justus Frantz 1995 gegründeten Orchester mit iungen Musikern aus 40 Ländern, die bei der Generalprobe und beim Finalkonzert von Karl Sollak dirigiert wurden. Auch bei dieser dreieinhalbstündigen Generalprobe war Plácido Domingo anwesend und gab jedem Teilnehmer noch die letzten Tips, seinen oder ihren Auftritt besonders eindrucksvoll zu gestalten. Und dabei zeigte es sich einmal mehr, wie sehr es doch manchmal auf die scheinbaren Kleinigkeiten ankommt.

Die kurze verbleibende Zeit zwischen Generalprobe und Finale verging schnell mit Haarstyling und Gaderobe. Manche der Damen war danach kaum wiederzuerkennen. Ein immer wieder ausfallendes Mikrophon bei der Eröffnung des Finalkonzertes durch Plácido Domingo (O-Ton: "Ein Opernsänger sollte in einer Musikhalle kein Mikrophon benutzen."), sollte die einzige Panne des Abends bleiben. Danach benutzte allerdings auch nur noch Moderatorin Susan Stahnke ein Mikrophon. Die rund 1000 Besucher der Musikhalle erlebten ein Feuerwerk an Arien - von Lampenfieber war bei den Interpreten nichts zu spüren. An vielen kleineren Häusern wären die Finalisten bereits heute die Stars. Allen voran der Sieger der diesjährigen Operalia und zugleich Gewinner des Publikum-Preises. Wenn der Uruguayer Baß Erwin Schrott seine Stimme in der Arie  'Comme dal ciel precipita' aus Verdis Macbeth erschallen ließ, lief den Zuhörern eine wohliger Schauer über den Rücken. An Ausdruckskraft seiner Stimme und seiner Darstellung stellte er alles andere fast in den Schatten. Mühelos wird Erwin Schrott auch die Säle der größten Opernhäuser mit seinem Stimmorgan füllen. Die 50.000 US$ für den ersten Preis der Jury, der wie der zweite Preis von Mutual Trust Network gesponsort wurde, und die weiteren von Clarins gegebenen 10.000 US$ für den Gewinn des Publikumspreises dürften vor allem Bestätigung für den jungen Familienvater gewesen sein.

Jury
Preisträger, Jurymitglieder, Marta und Plácido Domingo, Susann Stahnke
Auf Grund der Punktgleichheit wurden zwei zweite Preise in Höhe von jeweils 20.000 US$ an die 28jährige, US-amerikanische Mezzo-Sopranistin Joyce DiDonato, die die Arie 'Nacqui all' affanno .... Non piu mesta ....' aus La Cenerentola von Rossini darbot, und an den 29jährigen, französischen Bariton Ludovic Tezier, der als Escamillo aus Bizets Carmen mit 'Votre Toast' brillierte, vergeben. Die Koloratur-Mezzosopranistin besitzt einen großen Stimmumfang mit gut kontrolliertem Organ, wenngleich sie manchmal in den Piani noch etwas ausdrucksvoller sein könnte. Ludovic Tezier sammelte Punkte mit seiner Ausdruckskraft, seiner Gestik, seinem Rhythmusgefühl und seinem alle Register gut beherrschenden Bariton.

Den von Image-TV mit 15.000 US$ gesponsorten dritten Platz gewann die japanische Sopranistin Maki Mori, die in Lucias Arie 'Scena della Pazzia' aus Donizettis Lucia di Lammermoor in selten erlebter Weise die Höhen erklomm. In Japan zählt die 27jährige unter dem Opernnachwuchs bereits zu den Stars. Und dies zurecht. Mit atemberaubender Leichtigkeit erklimmt sie wie ein zwitschernder Vogel alle Höhen, wechselt blitzschnell zwischen hochdramatischen und lyrischen Momenten und dies mit einem Charme, der sie sehr schnell weltweit zum Liebling der Opernbesucher werden lassen wird. Den von Guillermo Martinez spontan gestifteten vierten Preis in Höhe von 10.000 US$ erhielt der 28jährige Tenor Jea Chul Bae. Mit der Arie 'Un di, all' azzuro spazio' aus Giordanos Andrea Chernier traf der seit 1994 in Italien lebende Südkoreaner mitten ins Herz.

Die beiden Zarzuela-Preise in Erinnerung an die Mutter und den Vater von Plácido Domingo in Höhe von jeweils 10.000 US$ gingen an die 28jährige Sopranistin Andion Fernandez mit 'De España vengo' aus El Niño Judio von Luna und an den 28jährigen, spanischen Tenor Carlos Cosias mit 'No puede ser' aus La Tabernera del Puerto von Sorozabal. Die Spanierin hatte bereits ihre Arie aus Cosi fan tutte mühelos mit ihrem klaren Sopran und viel Lebendigkeit vorgetragen, während Carlos Cosias mit seiner Melodik und seinem Legato überzeugte.

Von der Qualität der Finalisten zeigte sich auch Prof. August Everding beeindruckt - mit einer Einschränkung, "Die Beteiligung der verschiedenen Länder ist bei Operalia ausgesprochen hoch, dennoch überrascht es mich, daß nur eine deutsche Sängerin zur Endausscheidung der 40 besten nach Hamburg eingeladen wurde. Die Frage ist, an was liegt das ? War dies nur eine unglückselige Konstellation ? Da wir eine gute Ausbildung und gute Theater besitzen, ist dies verwunderlich. - Der Ausbildungsstand der Teilnehmer ist sehr hoch angesiedelt. Erstaunlich ist die hohe Qualität der Sänger aus den früheren Ostblockstaaten und aus Südkorea. Operalia ist sehr segensreich für den Opernnachwuchs, sie eröffnet ihnen viele Möglichkeiten. Vor allem, da alle Kosten für die Anreise zur Endausscheidung und für den Aufenthalt der 40 Teilnehmer übernommen werden. Diese Künstler sind junge Profis und fertig für die Bühne. Der Erfolg von Operalia zeigt, international gesehen brauchen wir keine Sorgen um den Opernnachwuchs zu besitzen."

Am 2. Juli fand die diesjährige Operalia in der seit Monaten ausverkauften Hamburger Musikhalle mit einem festlichen Gala-Konzert ihren krönenden Abschluß. Neben Plácido Domingo traten alle sieben Preisträger in Solonummern und in Duetten auf und stellten noch einmal unter Beweis, daß der diesjährige Gesangswettbewerb ein außerordentliches hohes Niveau besaß. Jeder Opernfreund darf sich darauf freuen, diese Künstler an den großen Bühnen der Welt wiederzuhören !


Text und Photos: Birgit Popp


Opera Notes